Cineastentreff.com (April 7, 2006)
Sängerin Nina Hagen
(tsch) Neues von der wohl originellsten Dame des deutschen Pop: Mit dem Capital Dance Orchestra nahm Nina Hagen, frühere Urmutter des Punk, "Irgendwo auf der Welt" auf: ein Album voll alter Filmschlager aus den 30er- und 40er-Jahren. Wie so oft überraschte das Gesamtkunstwerk Hagen ihr Publikum also wieder mit einer Kehrtwende. Im Interview präsentiert sie sich als fröhliche, muntere und liebenswerte Zeitgenossin, der man nicht viele Fragen stellen muss, um viele Antworten zu erhalten.
teleschau: Wie kam es zu den Aufnahmen mit dem Capital Dance Orchestra?
Nina Hagen: Das war ein alter Traum, der sich jetzt materialisiert hat. Die haben einfach bei mir angerufen, genauer gesagt Robert Mudrinic, der Saxofonist und Chef des Berliner Orchesters. Er beschrieb seine Musik, sagte, dass sie ganz originale alte Lieder spielen, mit Geigen und Bläsern. Als ich das das erste Mal hörte, fand ich das gleich so toll, da musste ich direkt von selber mitmachen (lacht). Wir haben dann gemeinsam in dieser unfassbaren Schatzkiste gewühlt.
teleschau: Wie wurden die Lieder ausgesucht?
Hagen: Zum Teil waren die sozusagen schon im Angebot, zum Teil durfte ich sie selbst auswählen. Mein ganz großer Wunsch war "Summertime" – das haben die schwarzen Ammen gesungen, die die weißen Herrschaftskinder gestillt hatten. Ich wollte damit eine Verbindung zu den Ursprüngen dieser Musik herstellen. Im Prinzip war das Swing, der dann ja von Hitler verboten wurde. Noch in den 50-ern wurde Swing als "Negermusik" beschimpft!
teleschau: Die Lieder klingen so originalgetreu, gar nicht Nina-mäßig verfremdet …
Hagen: Die Leute denken, ich muss immer Punk machen. Aber ich hab' doch auch die Dreigroschenoper gesungen und Hörmärchen eingesprochen für UNICEF, ich bin ja auch Schauspielerin. Es macht mich schon traurig, wenn man nicht versteht (verstellt die Stimme zu einem Piepsen), dass ich ne richtije, richtije Sängerin bin (lacht). Wir spielen auch mit meiner Rockband alte Sachen, Stücke von Elvis Presley oder Rockabilly!
teleschau: Wie gingen die Aufnahmen mit dem Capital Dance Orchestra vonstatten?
Hagen: Ich sang nur ein paar Titel im Studio in Los Angeles ein, die meisten Lieder nahm ich mit dem Orchester in Berlin auf. Die arbeiten übrigens auch mit anderen tollen Leuten zusammen, sie sind mit meiner lieben, verehrten Freundin Barbara Schöneberger unterwegs, und mit dem Opernsänger Jochen Kowalski.
teleschau: Du sagtest gerade "meine Rockband". Welche Band ist das?
Hagen: Die Rockband, die Nina Hagen Band oder einfach Nina Hagen oder auch Nina Hagen And The Nina Hagens. Die stammen aus Los Angeles. Vor ein paar Wochen waren wir zu meinem Geburtstag in New Orleans und spielten ein Benefiz für die örtlichen Musiker. Das war so wunderschön, ich habe mich in die Stadt verliebt, es ist auch immer noch beeindruckend da. Das wichtigste Viertel, das "French Quarter", ist gar nicht beschädigt – ich wollte gleich ein Haus kaufen! Wir meldeten uns auch fürs New Orleans Jazz-Festival an, aber mit dem Capital Dance Orchestra.
teleschau: Das läuft also parallel …
Hagen: Ach, da läuft noch viel mehr. Ich würde am liebsten alle meine Musiker gleichzeitig einpacken. Ich habe ja auch noch meine indischen Freunde von Om Namah Shivay, ich könnte also vier verschiedene Konzerte geben. Mit den Indern spiele ich auch noch viel, zum Beispiel auf Yoga-Festivals, das ist genauso rockig und aufregend, wie die Sachen mit den anderen Musikrichtungen. Mit dem Capital Dance Orchestra fangen wir erst an, zu entdecken, was es alles an wunderbaren Songs gibt. Wir wollen später auch den Twist und Lieder aus andere Äras spielen, aber jetzt waren es halt Filmschlager aus dieser Zeit.
teleschau: Zarah Leander und Marlene Dietrich haben es Dir aber besonders angetan …
Hagen: Nein, von Marlene ist gar nichts drauf, leider. Ja, ich mag Zarah, das ist so eine mütterliche Type, bei der fühle ich mich einfach geborgen. Sie hat sich nie versteckt, auch nicht als alte Frau und Künstlerin. Ich finde, dass das Publikum ihr über die Maßen Schuldzuweisungen in die Schuhe gesteckt hat, wegen ihrer angeblichen Kollaboration mit den Nazis – dabei hat sie sich sehr stark für ihre jüdischen Kollegen eingesetzt. Auf meiner CD ist ja von ihr "Irgendwo auf der Welt". Was wenige wissen: Den Song schrieben zwei Juden, einer wurde deportiert, daraufhin ist Zarah Leander betteln gegangen. Er kam dann aus dem KZ raus und schaffte es nach Amerika.
teleschau: Auf Deiner Website setzt Du Dich ganz stark für den Schutz der irakischen Kinder ein …
Hagen: Ja, das ist furchtbar, vor allem durch Uraniumbomben kommen die Babys missgebildet zur Welt, das Zeug zerstört die DNA. Da müssen wir uns alle stark machen. Auch wenn das in den USA nicht ungefährlich ist: Wer aufmuckt, kriegt Ärger.
teleschau: Meinst Du Dich selbst?
Hagen: Nein, aber zum Beispiel die Dixie Chicks oder Madonna.
teleschau: Ist es schwierig, wenn man politisch so aktiv und so kritisch ist wie Du, ausgerechnet in den USA zu leben?
Hagen: Nein, weil die Mächtigen dort so arrogant sind, dass sie die vielen Proteste sowieso nicht wahrnehmen. Gestern sagte Condoleezza Rice im Interview, als sie auf die vielen Demonstrationen gegen den Krieg angesprochen wurde (verstellt die Stimme zu einem affektierten Piepsen): "Ja, gell, hahaha, soo viele Demonstranten! Haha, komisch, oder? Wow!" Da geht mir der Hut hoch! Es gibt aber glücklicherweise viele gute Künstler und Leute, die sich in den USA für den Frieden stark machen. Bruce Springsteen ist dabei, auch Barbra Streisand. Aber niemand nimmt die groß wahr, die sind ja "nur" Künstler.
teleschau: Ein typisch amerikanisches Problem?
Hagen: Nein, auch in Deutschland schert sich kein Politiker um das, was die Intellektuellen sagen. Ich habe aber eigentlch kein schlechtes Verhältnis zu den USA. Ich bin nicht wirklich Pazifist, und ich weiß, dass man sich manchmal wehren und auf den Tisch klopfen muss. Wie damals, als die Alliierten nach Deutschland kamen, dafür bin ich heute noch dankbar. Die haben meinen Vater gerettet, sonst wär' ich gar nicht da.
Kati Hofacker