Magazine & date unknown
By Tom Scholz
Submitted to the Shrine by Tracy Sirotti
Tom Scholz besuchte die deutsche Rocksaengerin bei ihrem ersten Londoner Konzert.
Zweihundertundacht Jahre nach Erbauung des Londoner Lyceums trafen sich dort am Abend des neunten September Londons Punk-welten, um einen selten gesehenen und selten nicht geliebten Gast zu verehren: Nina Hagen.
Und all die Creme der Londoner Punkszene war in den altehrwuerdigen Musikpalast gekommen, und was Namen hatte war da, und was keinen Namen trug, war auch da. Und Rod-in-Punk war da und natuerlich auch Punky Dory. Und Ariane von den Slits (einer englischen Frauen-Punkband) war da, war auch zur Stelle, als im zweiten Lied Ninas Stimme ueberkippte und Ariane vom zuschauerraum aus den hohen Gesangspart uebernahm, gerade so, als habe sie immer auf diesen Moment gewartet. Dennoch: dieser Moment schien gar nicht ‘so eingeplant’ gewesen, denn die Ariane, Nina Hagens beste Freundin und Lehrmeisterin in Sachen innerer und aeusserer Befreiung, sang so spontan und dazu so GUT spontan, dass selbst die kleine Ostdeutsche bekennen musste: “Shit, die singt ja viel besser als ich.”
Trotzdem oder gerade: Das war Londons PUnkgefuehl, das war realisierter Punk, der dieserorts halt anders geschrieben und gelebt wird, als etwa in Amsterdam, wo Nina mit ihrer neuformierten Begleitband (Helmut Schoen – Keyboards, Knud Heineken – Schlagezeug, Laurens Leeuw – Bass, Ferdinand Karmelk – Leadgitarre) im HOlliday Out wohnt und mit den dortigen Punkies sich im ‘Punk gegen Junk’ engagiert. An diesem Abend aber war man in London und da kommt es schon einmal vor, dass Punkmaedel auf die Buehne steigen, wie etwa zwei Wochen zuvor bei einem Konzert der Jags, als man ungezwungen die Gesangsanlage beanspruchte, dabei einige Lieder, sie etwa ‘Happy Birthday, Mammy’ oder ‘I Love You, Marc’ vortrug und die Gruppe zu Begleitmusikern degradierte. Hier, in Englands Haupstadt, der Geburtsstaette des Punk, wurde halt mehr in Szene gesezt, als unsere Nina das zu glauben vermochte. Bei allem, der Abend war ein grosser Erfolg fuer die Hagen, uebertraf weit die Erwartungen und schliesslich gingen alle Punkies, es waren nahezu 2500 Zuhoerer gekommen, brav nach Hause.
Doch Nina, so sagte sie mir am Morgen darauf, als ich sie im Feudalhotel Holliday Inn traf, sieht die Londoner Punkszene als “noch nicht soweit an, was meine Idee von Love als Weltsprache und eigentliches Amnesty International anbelangt.” Da sitzt sie vor ihrem Schnitzel mit Ei und noch ‘was drueber und sinniert ueber Gewesenes und das Kommende. Auch ueber Gott, der fuer sie gleich Punk ist, gleigh Liebe, gleich Hoffnung, gleich Glaube. Auf ihre kuenftigen Plaene angesprochen, meint sie, es stuenden vielleicht USA-Aktivitaeten aus, vielleicht auch etwas kuenftiges in England. Dabei will sie sich ‘von nun an selbst promoten und managen’ und ueberhaupt habe sie vor Aufstieg und Fallwenig Angst, denn “seit ich Gott gefunden habe, brauche ich keine Angst mehr zu haben.” So, “wenn wir bereit sind, einen Kapitaen zu akzeptieren, naemlich Hoffnung, universalen Einklang, Liebe und Harmonie, dann haben wir schon ein Stueck mehr von uns endeckt…” Philosophisches aus dem Munde einer Saengerin, die ihre Lieder selbst schreibt und arrangiert.
Ob sie einmal mit einer Freuenband zusammenspielen wolle, moechte ich von ihr wissen. “Na klar, wenn die Schwestern soweit sind; ausserdem habe ich bei meinem ersten London-Aufenthalt mit den Slits zusammengearbeitet und geprobt.” Zu gemeinsamen Auftritten war es seinerzeit nicht gekommen. In Deutschland sieht sie die Szene als zu erkaltet, zu beherrscht von Interessengrueppchen; dennoch, es regt sich auch dort etwas. Etwas Bruehwarm sei eine gute Gruppe, wenn sie endlich eine geeignete Formation faenden. Doch grosses maennliches Gesangsvorbild bleibt David Bowie, von dem man sagt, dass er eine musikalische Zusammenarbeit mit Nina Hagen schon einmal ins Auge gefasst hatte. Fuer die vitale Saengerin eine Erfahrung wert, denn Nina Hagen kann sicher noch mehr wagen, als das bisher Gezeigte. Hotcha!
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