Magazine & date unknown
By Gabriele Meierding
Submitted to the Shrine by Tracy Sirotti
Nina hatte richtig orakelt: “Anarchy in Germany, das klappt doch nie”, lautete zunaechst der Arbeitstitel fuer ihre eher idealistisch den professionell inszenierte kleine New Wave-Revue. Under dem endgueltigen Motto “Babylon Will Fall” fiel dieses eigentlich recht erfreuliche Experiment gliech am ersten Abend im Hamburger Audimax durch. Es scheitere nicht zuletzt am Unverstaendnis der Zuschauer, die einen perfekten Nina Hagen-Showdown mit allen Schikanen erwarteten–was immer sie sich auch darunter vorgestellt haben mochten. Nina swischen Playback und musikalischen Frischlingen kam nicht an. Sie zog die Konsequenzen und liess die Tour absagen. Schade!
Diesen abend zwischen Aggression und Begeisterung werde ich so schnell nicht vergesssen. Ich habe mich gefreut, weil das liebenswerte Chaos dort auf der Buehne trotz aller Amateruhaftigkeit etwas Neues, Bemerkenswertes signalisierte. Doch das Wagnis war wohl zu gross. Die Idee, mit Neulingen ein Rock-Theater zu inszenieren, war zumindest fuer hiesige Verhaultnisse ein Himmelfahrtskommando, leider. Haette Nina intensiver darueber nachdenken muessen oder zumindest ihre Mutter, die Schauspielerin Eva Maria Hagen, die immerhin ihren Namen als Veranstalter hergab? Fest steht, dass hier eine Menge Geld ueber den Jordan ging.
Die Hamburger Uni hatte uebrigens fuer den Abend massiven Polizeischutz angefordert, weil im Laufe des Tages ein Aufgebot von Punks versuchte, eine Drahtgitter-verstaerkte Tuer einzudruecken, als Nina drinnen bei den Proben war. Was fuer ein Gefuehl: Du biegst um die Ecke und laeufst erst einmal in drei Gruene Minnas. Sollst Du nun darueber lachen oder weinen? Die Panik war uebertrieben. Es passierte nichts, obwohl die meisten Besucher offen ihrem Unmut Luft machten. Sie fuehlten sich verladen.
Wer sich ein bisschen in der Szene auskannte, wusste eigentlich, was Nina vorhatte. Ueber ihr “Atomspecdracula” hatte sie sich ja ausfuehrlich im Hamburger Stadtmagazin “Szene” ausgelassen. Zumindest under den Punks war auch bekannt, dass die swei von “Who Killed Rudi”, die Brueder Jaecki Eldorado (Bass) und Nickie (Schlagzeug), blutige Anfaenger sind, und die Jungs von O.U.T. mit ihrem futuristisch verpoppten Styling einer traufrischen Szene angehoeren. Dass Nina zu BAckgroundmusik singen suerde, war auch kein Geheimnis. Sie versprach sich davon mehr Bewegungsfreiheit. Nur dass dieser erste Abend im Audimax eine bessere Generalprobe war–das wussten die Fans nicht. Und dass man ihnen dafuer 16DM abverlangte, war wirklich nicht fair.
Dabei fing diese Revue ganz vielversprechend an: Nina, in Massen von Rueschen gehuellt, laesst, sich im Einkaufswagen ueber die Buehne rollen. Die eroeffnungsnummer ist ihre Version von Lene Lovichs “Lucky Number” und es gibt reichlich Beifall. Doch die Begeisterung Haelt nicht lange vor. Nina gebaerdet sich wie win fatales Hexenweib, strapaziert ihre Stimmbaender in geifernden Kraechziraden. Ihre daemonischen Beschwoerungen halten das Publikum aber nur kurze Zeit im Bann. Nina ist ihnen zu schwierig, diese extreme Performance ist ihnen zu anstrengend. Vergeblich warten sie auf Ninas charakteristische Stimm-Akrobatik, brachte sie es doch fruehrer spielend vom hoechsten Alt ihr Organ war nicht im besten Zustand.
Die Show so sprunghaft wie Nina selbst: Wenn sie nicht am Mikro stand, sass sie am aeusseren Buehnenrand am zweiten Schlagzeug oder griff sich eine Gitarre. Das Ensemble, zu dem auch noch das Rude Girl Mannon Pepita aus Amsterdam gehoerte sowie ein spindelduerres Wesen mit Mordsperuecke (ich vermute der angekuendigte Transvestit Salome) vermischte sich ohne interne Distanz und zeigte ein fast noch naiv zu nennendes Engagement. O.U.T. paarten ausgefallenen Kostueme und coole deutsche New Wave mit geschmeidigen Tanzeinlagen, und “Who Killed Rudi” gaben einfachst-Rhythmen mit entsprechendem Sprechgesang von sich. Sie repraesentierten damit–in Miniaturausgabe sozusagen–jene Geraeusch-Philosophie, die in teilweise natuerlich fortgeschrittener Form bereits zahlreiche neue deutsche Bands verfolgen. Alles spielte sich uebrigens vor Projektionen ab, die das “Pyramidenstadl” (Zitat Nina Hagen) in Eigenregie hergestellt hat: die typischen Muster der New Wave (Dreiecke z.B.) oder naive Sid und Nancy Darstellungen.
Der Wechsel zwischen Ninas Playback und den Live-Geraeuschen verlief nicht fluessig genug, um das Publikum zu ueberzeugen. Die Bands entsprachen darueberhinaus nicht den traditionell gepraegten Vorstellungen einer Zuhoererschaft, voellig unbeleckt von experimentellen Ideen eine nahtlose Losgeh-Arie erwartet. Dummerweise war die Show nun auch so lasch ausgearbeitet, dass vielen Symbolen die Praegnanz fehlte. Das Publikum liess sich nicht fesseln, weil es keine Beziehung entwickeln konnte. So klammerten sich die Zuschauer verbissen an Nina, nichts anderes wollten sie sehen. Trat sie fuer ein paar Minuten ab, hagelte es Buh-Rufe, “Haste keinen Roadie?” schrie einer, als sie ein Buehnenrequisit selbst zur Seite trug. “Ausziehen!” forderte ein anderer. “Mensch, ick hab sone abgefuckte Scheisstimmung”, gestand sie dann selbst kurz vor Schluss.
Dass “Speedracula” brach denn auch ganz unvermittelt ab, aber keiner ging. Es war erst eine gute Stunde vergangen, die meisten glaubten, es ginge nach einer Pause weiter. Die Truppe kehrte fuer ein Kurzes Finale zurueck, dann war’s aus. Es dauerte, ehe sich der groessere Teil des irritierten Publikums zum Gehen entschliessen konnte. Sie waren verwirrt, in ihren Koepfen rotierte es. War das nicht schon Erfolg genug?
Nina haette es sich leicht machen koennen. Sie haette Kapital aus ihrem Namen schlagen koennen. Sie haette auf ihre Mutter hoeren koennen und auf ihren ehemaligen Pflegevater Wolf Biermann, die sie vor diesem riskanten Unternehmen wohl in aller Eindringlichkeit gewarnt hatten. Im Familienkreise fiel dann tags darauf auch die Entscheidung, das Unternehmen sofort absubrechen. Ninas Mutter liess in einer Presseerklaerung verlauten: “es hat sich im Hamburg herausgestellt, dass das Singen zu einem Playbacktonband statt mit einer Band aus Kuenstlerischen Gruenden fuer Nina Hagen unmoeglich und fuer das Publikum unzumutbar ist. Der Versuch, stattdessen mit Laienmusikern eine theateraehnliche Show zu machen, hat sich als Kuenstlerischer Missgriff erwisen. Nina Hagen hat die Absicht, statt der geplanten Tournee nun in Ruhe Musiker zu suchen, sie will dann ein Programm mit neuen und alten Liedern erarbeiten.”
Am Tag nach dem Konzert kraechzte Nina durchs Telefon: “Der Druck von allen Steiten auf uns ist im Moment to stark, dass wir jetzt erstmal nach LA gehen und uns da Musiker suchen…”
Hier in Deutschland muss eben alles seine Ordnung haben! Auch in der Rockmusik.
Gabriele Meierding
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